Tag 4 – Letzter Tag Lippstadt.

Ich spazierte heute in den nächstgelegen Ort mit Supermarkt, Bad Westernkotten, was sich als interessante Erfahrung entpuppte. Bad Westernkotten ist (zumindest in der Mittagszeit) von einer so erschlagenden Langeweile, dass man beinahe rumbrüllen möchte, bloß damit etwas passiert. Der gesamte Ort scheint nur aus Pensionen zu bestehen, die mit „Gemütlichkeit“ und „Zentrumsnaher Lage“ werben – letzteres trifft allerdings auf jedes Haus innerhalb der Ortsgrenzen zu. Zwischen den Pensionen flanieren Rentner in schweigsamer Eintracht, was dem Kurort eine meditative, nahezu sakrale Stille verleiht, die weder von Kindergebrüll noch von Musik durchbrochen wird.

Im Rewe arbeiten mehr Menschen, als Besucher vorhanden sind, in der Gruppe der Angestellten manifestieren sich auch die einzigen jungen Leute, die mir im Ort auffallen. Ein junger Junge (oder „Bub“, oder „junger Herr“) mit der Höflichkeit eines Klosterschülers sitzt an der Kasse, eine recht hübsche junge Dame sortiert Getränke in den Kühlschrank, dieweil der dritte im Bunde geschäftigen Gesichtsausdrucks mit mäßig verstohlenem Blick auf ihren Arsch stiert. Auch sie reden nicht, sondern fügen ihre Existenz stillschweigend in den Kosmos aus Rollatoren, Pflastersteinen und Stille ein. An der Kasse stehend betrachte ich den kleckerweisen Strom aus Rumpralinen, Kaffeeweißer und Klatschzeitschrifen auf dem Warenband, und ich verspüre unbändige Lust, den Kassierer zu fragen, wie er es hier aushält, was er so tut abends, ob er einen Motorroller hat und deutschen Gangsterrap hört, oder ob er zuhause auch nur schweigt und Briefmarken sortiert, um keinen Anlass zur Beschwerde aufkommen zu lassen, ob er auch eine Deutschlandfahne im Fenster hat wie so viele oder nur auf dem Fahnenmast im Vorgarten, ob er vielleicht Kommunist ist oder ob er feministische Pornografie mag oder verurteilt oder wie es hier einfach so ist, bis meine Gedanken ein jähes Ende finden: „Stock! Ein Stock! Braucht jemand seinen Gehstock? Nein?“ – eine der Angestellten wedelt an der kurzen Schlange entlangtippelnd mit einer Gehhilfe, nahezu brüllend, um sie nach Ausbleiben einer Reaktion auf der unbesetzten Kasse 2 zu drapieren.

All die sakrale Stille und Langeweile ist zerstört – warum Menschen auf dem Land, wo es doch immer viel stiller ist, so laut reden müssen, ist mir ein Rätsel. Ich entschuldige sie mir im Geiste dadurch, dass die vielen Rentner so schlecht hören. Betrübt setze ich mich auf den Kirchplatz und schaue eine ganze Weile nur ins Nichts.

Als ich den Ort verlasse, schallt deutschsprachiger Rap aus einem Haus.