Tag 11 – Erfurt bzw. Selbstinszenierung

Drei Mädchen, etwa 12 Jahre alt oder 14, machen unentwegt Selfies. Drei Handys kreisen wie Geister zwischen ihnen umher, um jeden Moment aus jedem Winkel öffentlichkeitswirksam aufzunehmen und zu teilen. Sie tauschen die Plätze hin und her, um verschiedene Konstellationen abzulichten und ich bin verstört von der mächtigen, bannenden Wirkung der Smartphones.

Gleichzeitig fällt mir auf, dass ich ja nichts anderes tue. Das, was ich der Welt bildlich mitzuteilen gedenke, fotografieren ich auch ab, bearbeite die Fotos, poste sie auf Instagram. Ich produziere Musik oder schreibe diesen Blog. Ich rede mir ein, dass ich nur das publizieren will, was ich selber gerne läse, hörte, und dass jedes Foto eine gewisse Bedeutung für den Moment hat – für andere sind diese Bilder allerdings vielleicht nicht mehr Wert als die 17 Milliarden #foodporn-Bilder für mich. Und dieser Blog ist vielleicht auch nur ein Ausdruck von Überheblichkeit, denn ich verbrauche Unmengen Strom, um meine – meiner Meinung nach – wichtigen oder tollen Gedanken in die Welt zu peitschen und mich als tiefgründig darzustellen.

Wenn man sich so in der Öffentlichkeit präsentiert, gibt es eigentlich nur 3 Möglichkeiten:

1. Man hat echt einen Inhalt, den man transportieren will, der ehrlich ist und zumindest für einen selbst wichtig ist – die Kunst bzw. der Ausdruck steht vor dem Ego.

2. Man ist ein überheblicher Wichser, der sich so geil findet, dass man es anderen aufzwängen will und sich und nicht den Ausdruck in den Vordergrund stellt.

3. Man nutzt es als Mittel zum Zweck (z. B. um als Straßenmusiker etwas Geld zu bekommen).

Kann man sehen wie man will – ich bleibe dabei, dass ich das hier für mich wichtig finde. Dass man sich ganz tief innendrin immernoch einen auf seine Likes runterholt, ist wohl unumgänglich. Fragt mal Attila Hildmann.

Zur Route Ost: Heute ging es nach Erfurt. Auch wenn ich schon einige Orte mit „schön“ beschrieben habe, ist Erfurt ebendies. Die riesige Altstadt sieht aus wie aus dem Ei gepellt (von unserem Soli!) und es gibt so endlos viele alte Häuser (eigentlich sogar ausschließlich), dass man mit offenem Mund herum wankt, zumindest als architektonisch chronisch untervögelter Dortmunder. Außerdem: das erste Mal couchsurfen. Super cool und entspannt und freundlich und einfach nette Gespräche. Das Konzept, wirklich zu Besuch zu sein, ist einfach der Killer und wesentlich ehrlicher als z. B. Airbnb.