2018 in Tonträgern.

Wieder ein Jahr. Wieder ist die Welt nicht untergegangen. Wieder ein Jahr, in dem es einige Enttäuschungen gab. Wieder ein Jahr, in dem wirklich, wirklich viel gute neue Musik veröffentlicht wurde. Wieder ein paar Lieblingsalben. Unsortiert. Vielleicht liest sich das alles ähnlich, wer weiß. Nächstes Jahr wird alles anders. Wie jedes Jahr.

Die gesamten Alben finden sich gesammelt in meiner gleichnamigen Spotify-Playlist 2018 in Tonträgern.

Stoner Metal | Marathon Artists

Sleep – „The Sciences“

Man stelle sich vor, man sei auf einer Familienfeier. Alle kennen sich, und naja, irgendwo sind auch Ähnlichkeiten. Aber nach dem sechsten Sekt wird dann doch etwas getuschelt, und irgendwie merkt man, dass sich alle etwas auseinandergelebt haben. Aber Onkel Manfred mag eigentlich jeder, da ist man sich einig, auch wenn er hauptsächlich alte Geschichten auspackt, wie er zum Beispiel einmal 1987 oder so superhigh mit dem Skateboard auf Kopfsteinpflaser der Kleinstadtpolizei davongefahren ist und im Fahren noch ein Eis am Stiel geklaut hat, weil durstig und erfrischungshungrig, muss man schaffen – und es gibt sogar Zeugen. Richtig verrückt wird es dann aber, als Manfred zu fortgeschrittener Stunde ein Skateboard aus der Garage anschlörrt, Anlauf nimmt und in Zeitlupe – wirklich wahr – einen lupenreinen Kickflip über die gesamte Länge der Bierzeltgarnitur steht. Das dauert etwas mehr als 50 Minuten, alle Anwesenden sind überaus baff und liegen sich Freudentränen vergießend in den Armen, weil ihnen wieder dargeboten wurde, warum Manfred der coolste ist. Ungefähr so ist es mit The Sciences von Sleep. Etwas mehr Einflüsse von Al Cisnero’s Seiten-/Haupt?-Projekt OM, ansonsten eine Wucht von Fortführung der Diskografie dieser titanischen Konsens-Stonerband.

Blackgaze | ANTI-Records

Deafheaven – „Ordinary Corrupt Human Love“

Zugegeben, ich bin ein großer Fan dieser Band. Die Verschmelzung von Black Metal, Indie, Shoegaze, diese manchmal kitschige, immer irgendwie sehr optimistische Mischung findet sich auf diesem Album wieder in der Stärke zusammen, die auf dem ziemlich einschlagenden Erfolgsalbum Sunbather bereits perfektioniert geboten wurde. Vielleicht noch etwas verträumter, mit einem Gastspiel der famosen Chelsea Wolve schwelgen Deadheaven in großen Emotionen und großartigem Storytelling. Klingt vielleicht etwas wie Musik für Leute, die Gedichtbände sammeln und in der Stadt Fußgänger beobachten, wärend sie ihre Selbstgedrehte rauchen und sich aus Versehen auf den existenzialistischen Rollkragenpullover aschen – oder Black Metallern in Lederkutte, die trotz TRVENESS gerne Ben Howard hören – sowie Menschen mit einem Faible für romantische Musik und dem Headbangen beim Zwiebeln schneiden.

Techno/Electronica | Phantasy Sounds

Daniel Avery – „Songs for Alpha“

Die Empfehlung, Songs for Alpha am Stück zu hören, kam mit der Erklärung daher, es sei ein „Trip“. Stimmte dann auch. Passend dazu gibt es trippige Visuals zum ganzen Album. „Clear“ habe ich auch etliche Male aufgelegt, einfach, weil es so ein guter Track ist. Das ist doch mal ein sachliches Review! Von friedlichen, schwelgerischen Tracks geht es hin zu ziemlichem Abriss-Sound, der wiederum von Ambient-Fillern abgefangen wird, alles mit viel Hall und dem daraus resultierenden Gefühl, an einem Raumschiffflughafen überdimensionierte Sternenkreuzer in VHS-Rauscheoptik vor sich zu sehen. See you, Space Cowboy.

Alternative | Ben Howard Music Ltd./Universal

Ben Howard – „Noonday Dream“

Träumerisch, bisweilen eruptiv, überaus sinnlich, fast psychedelisch, abwechslungsreich und dennoch stringent serviert Ben Howard dem geneigten Hörer ein in jeder Hinsicht gelungenes Süppchen aus erlesenst zubereiteten Zutaten. Instrumental ist auf diesem Album so dermaßen viel zu entdecken, dass es eigentlich bei jedem Hören ein neuer Faden gesponnen wird, an dem man sich bei Ben Howards Reise durch die Wüste orientieren kann. Oder sich in ihr verliert, weil sie so schön ist. Natürlich ist das alles etwas schwermütig. Aber durch den famosen Aufbau und einer guten Mischung aus bedächtigen Klängen und treibenden Parts bleibt trotz dieses Schwermuts ein ganzer Batzen Optimismus übrig.

Hip-Hop/Rap | RCA Recordings

A$AP Rocky – „TESTING“

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wo ich anfangen soll. Die Beats sind unfassbar fett, die Tracks irre divers, A$APs Flow wie gewohnt die absolute Groove-Zerfickung, alles zum Mitwippen und Mithören. In einem THC-Maelström werden Synthesizer, Blockflöten und Drummachines samt ihrer Bediener herbgesogen, stoßen sich an umhertreibenden Samples, rollen über Moby („A$AP Forever Remix“) hinweg, während A$AP auf einem Sandwich-gefüllten Kühlschrank und mit auf Zufall gestelltem iPod die Wellen reitet. Zwischendurch Haie, vorbeitreibende Aufblas-Donuts, Sonnenschein und eine kurze Flaute im Strudel, der eigentlich nur ein Apfelstrudel auf Omas Kuchentafel ist, der sich vom Acid irgendwie etwas verformt hat. Keine Ahnung, wie er und alle Beteiligten, darunter Skepta und FKA Twigs, so etwas hinbekommen haben. Exemplarisch einen Track aus diesem Sammelsorium wählen – schwierig. Hören.

Alternative | Marathon Artists

Courtney Barnett – „Tell Me How You Really Feel“

Man könnte jetzt ganz viel vergleichen. Oder zum Beispiel behaupten, dass irre viel 90er in diesem Album stecken. Post-Grunge, Post-irgendwas. Aber eigentlich ist Tell Me How You Really Feel doch sehr zeitgemäß und dem Jodeldiplom gleich etwas ganz Eigenes. Umgarnt von Courtney Barnetts famos akzentuierter Stimme, die sich zwischen sanfter Einfühlsamkeit und schnoddriger Patti-Smithesker Wut („I’m Not Your Mother, I’m Not Your Bitch“) umherbewegt, grooved das musikalische Fundament in gradliniger Coolness, ohne jedoch zahm zu wirken. Hätte man jetzt alles besser beschreiben können. Gute Musik, gute Texte, gute Frau. Auf jeden Fall ist „Charity“ einer meiner Lieblingssongs des Jahres – sehr klassisch, fast cheesy, aber einfach so … so irre cool. SO COOL!

Electronic/Techno | Ostgut Ton

Answer Code Request – „Gens“

Ob das Techno ist, ist egal. Vorrangig ist Gens ein sehr gutes Album zum Hören. Zumindest ist es definitv keine Ansammlung von Club-Bangern, sondern vielmehr eine Reise durch die meist etwas düstere, leicht entrückte und tiefgehende Klangwelt von Answer Code Request. Was von undefinierbaren Samples, Dub-Techno-lastigem Beat und sphärischen Synthesizerklängen eingeleitet wird, mäandriert in einer langen Traumreise zwischen Breakbeats, Berliner Schule-Arpeggios und Detroit-Versatzstücken („knbn2“) umher, bis es sich in ein Meer aus Versprechungen ergießt (Rilke wäre stolz). Fantastisch!

Pagan Metal | Metal Blade Inc.

Primordial – „Exile Among Ruins“

Auf den überraschend doomigen Vorboten „Stolen Years“ folgte alsbald ein ganzes Album, das eigentlich dann doch lieferte, was man so in etwa erwartet hatte. Wie immer irre gute Riffs, eigenständige Schlagzeuggrooves, viel Pathos, wehende Haare, große Gefühle, Schwermut, mit leicht zusammengekniffenen Augen auf Irlands Hügeln gegen den peitschenden Regen stapfen, dieweil Sonnenstrahlen Herz und Seele wärmen – wie immer einfach gut. Vielleicht ist das Metal-Kitsch, aber für mich ist es einfach orgasmisch ergreifende Musik.

IDM/Electronica | Ilian Tape

Skee Mask – „Exile Among Ruins“

In der Pitchfork-Bestenliste, Groove-Liebling, umfassend positiv bewertet und gefeiert: vollkommen angemessen. Ein überragend produziertes und irrwitzig cleveres Album, das trotz des hohen Tanzpotentials nie wirklich aufgeregt, sondern innig konzentriert daherkommt. Zwischen Breakbeat und Jungle, Ambient und Klangexperimenten finden sich Sprenkler aus Acid, Trip-Hop, Trance und allerlei anderem Kram, die diesem fantastischen Album eine unglaubliche Vielschichtigkeit verleihen. Von vorne bis hinten ein durchdachtes, aber nie verkopftes Werk, bei dem vor allem die organischen Drumspuren für eine wohlige Wärme sorgen. Unbedingt anhören!

Industrial Rock | The Null Corporation

Nine Inch Nails – „Bad Witch“

Wirklich gut auskennen tue ich mich in Trent Reznors Biografie nicht. Ehrlich gesagt habe ich mit „Bad Witch“ vermutlich mehr Zeit verbracht als mit allen NIN-Werken zusammen. Vielleicht, weil das Album etwas an die Queens of the Stone Age erinnert – vor allem in der ersten Hälfte, wohingegend das Ende dieses kurzen Albums mehr in Drone und Ambient gleitet. Angereichert wird diese Stoner-Industrial-Melange mit Saxophon, Effektspielereien, Synthesizern. Fesch. Etwas wie alte Lieblings-Krachsongs auspacken, aus dem Schwung der positiven Energie in apathische Nostalgie verfallen, die nächste halbe Stunde gegen die Wand gucken und es trotzdem irgendwie befreiend finden.